Welcher Lebensweg ist der richtige?
“Mit Herz und Hand” ermutigt Richard Betz in seinem gleichnamigen Theaterstück Jugendliche zur selbstbestimmten Berufswahl – und bezieht damit klar Stellung gegen den unreflektierten Run auf Hochschulen.
Ein Ergebnis der hessischen Bildungspolitik der letzten Jahre ist nachzulesen auf der Website des Landes Hessen[1]: Die Zahl der Studierenden an den hessischen Hochschulen hat sich vom Jahr 2005 bis zum Jahr 2016 um 87.245 erhöht. 2005 zählt die Statistik 163.205 Studierende, im Jahr 2016 verbucht sie 250.450 Studierende.
Die Gründe mögen vielfältig sein. Offensichtlich lastet aber ein gewisser gesellschaftlicher Druck auf Eltern und vor allem Jugendliche, sich den Bildungsidealen der Oberstufe zu stellen und schließlich den Weg einer akademischen Ausbildung einzuschlagen – mit der Vorstellung später mal mit wenig anstrengender Arbeit viel Geld verdienen zu können.
“So ein Schmarrn”
… lautet hierzu das klare Statement der Kunstfigur Paul Ballmer aus dem Stück “Mit Herz und Hand” des Zimmerermeisters und Schauspielers Richard Betz aus Liebenau bei Kassel.
Betz selbst fand erst nach erfolgreichem Architekturstudium zu seinem eigentlichen Traumberuf des Zimmerers. Die berufliche Weiterentwicklung zum Zimmerer auf der Bühne wurde auch durch persönliche Erfahrungen als Vater begründet.
“Was wird den Eltern und den Schülern seit 30 Jahren erzählt? Wer nicht studiert, hat schon verloren.”, stellt Paul Ballmer alias Richard Betz fest.
Die Verschiebung der Wertigkeit zulasten der handwerklichen Bildung und zulasten der jungen Leute regt Betz ganz offensichtlich auf.
Die Statistik der IHK Hessen[2] bestätigt Betz: “Rund 30 bis 40 Prozent der Studierenden beenden ihr Studium nicht mit einem Abschluss, sondern brechen ab. Ursachen sind Leistungsprobleme (…), mangelnde Motivation, aber auch Unzufriedenheit mit den Studienbedingungen.”
Auch die Strukturdaten des hessischen Handwerks[3] stimmen mit Betz’ Einschätzung überein: Waren im Jahr 2006 noch 29.845 Auszubildende im Handwerk zu zählen, waren es Mitte 2016 nur noch 24.727 Auszubildende.
Diese Entwicklung ist spürbar: Hessische Handwerksbetriebe sind nach einem Bericht in der Frankfurter Neuen Presse vom 7.6.2017 im Schnitt auf 3,1 Monate im Voraus ausgebucht[4]. “Verbraucher müssen sich in Hessen auf lange Wartezeiten bei Handwerkern einstellen”.
Die Problematik gewinnt an gesamtgesellschaftlicher Dimension.
Was ist zu tun?
Nach Betz’ Beobachtung fehle vielen Jugendlichen einfach der Kontakt zum Handwerk um eine klare Vorstellung von den verschiedenen Berufen zu bekommen.
Diesen Umstand zu lindern, hat er zusammen mit der Autorin Michaela Bochus und der Regisseurin Ann Dargies in anderthalbjähriger Arbeit das Stück “Mit Herz und Hand” entwickelt, mit dem er als Handlungsreisender in Sachen Handwerk durch ganz Deutschland tourt.
50 Minuten dauert das “Stück zur Berufsorientierung” plus Nachgespräch.
16.000 Schülerinnen und Schüler haben die Inszenierung bereits in den vergangenen zwei Jahren gesehen.
Theaterstück „Mit Herz und Hand“
Uns ist es am 8. Juni 2017 gelungen, Betz an die Theodor-Litt-Schule nach Gießen zu holen.
Die Theodor-Litt-Schule in Gießen ist eine gewerblich-technische Berufsschule ohne musischen und künstlerischen Unterricht.
Um das Bildungsangebot zu ergänzen hat sich vor ca. 14 Jahren eine Arbeitsgemeinschaft gegründet, die sich „KidS – Kultur in der Schule“ nennt. Die AG bietet regelmäßig Kulturveranstaltungen in der Schule an, Dichterlesungen, Theater- und Kabarett-Aufführungen, Musikdarbietungen, Diskussionsveranstaltungen, Workshops.
120 unserer Schülerinnen und Schüler des beruflichen Gymnasiums,
der Berufsfachschule, Auszubildende des Parkettleger-, Schreiner-,
Zimmererhandwerks und Bauzeichner sowie
Berufsorientierungsschülerinnen und –schüler der 8. Klasse der Alexander-von Humboldt-Schule Gießen folgten der Lebensgeschichte des Zimmermanns Paul Ballmer gespannt.
Angesichts der Heterogenität und der Berufskollegen im Publikum schmunzelte Betz zunächst – ein Hauch von Unsicherheit? Keineswegs!
In traditioneller Zimmererkluft, mit Elektrosäge und Spezialbohrer, vor sich ein Haufen Holzlatten und Holzbalken trat Betz selbstsicher vor das Publikum, die Gewissheit ausstrahlend, dass seine Botschaft an die Jugendlichen die richtige ist.
Das Stück hat zwei Ebenen: Auf der vorderen Handlungsebene tritt der Zimmermann in der Figur Paul Ballmer in Erscheinung, der mit Elektrosäge und Spezialbohrer nach 500 Jahre alten Plänen Leonardo da Vincis ganz unaufgeregt, in sich ruhend eine Brücke baut. Betz zeigt so seinem Publikum, wie erfüllend die Tätigkeit eines Handwerkers sein kann. Körperliche Arbeit, Mühe und Anstrengung verwandeln sich in ein greifbares Produkt, der Leonardo-Brücke. Er zeigt, dass das Arbeitsergebnis des Handwerkers den Menschen zugutekommt, Freude bringt und fordert die Zuschauer auf, über die Brücke zu laufen.
Die Leonardo-Brücke führt den Zuschauer auf die zweite Ebene des Stückes, die feinfühlig und tiefsinnig ist. Hier trifft der Zuschauer auch auf das Requisit eines Wegweisers mit vielen Wegschildern in alle Himmelsrichtungen. Dass dieser nützliche Wegweiser natürlich auch aus Holz ist und von einem Zimmerer erbaut wurde, versteht sich von selbst.
Die Wegschilder stehen symbolisch für verschiedene Lebenswege.
Die Figur Paul Ballmer ist viele Wege gegangen, auch Umwege und Irrwege. Manche waren sehr schmerzlich. In dem Moment, in dem er sich auf das besann, was er wirklich wollte, wo seine Träume steckten, fand er seinen persönlichen Lebensweg – zu sich selbst, zu Glück und Zufriedenheit, nicht zu einer Menge Geld und Statussymbolen.
Diese Botschaft macht Betz seinen Zuschauern ganz klar: Selbstbestimmt und mutig, auf ihre Träume hörend, sollen sich die jungen Leute mit ihrer Berufswahl und mit ihrem Leben auseinandersetzen, den eigenen Weg selbst suchen und gehen. „Wo die Angst sitzt, da geht’s lang!“
Mit der Begehung der Leonardo-Brücke spendete Betz den letzten Zweiflern im Publikum symbolische Gewissheit. Die Gewissheit, dass der selbst gewählte Weg, sollte er sich auch als Umweg oder Irrweg erweisen, zuverlässig und stabil zum persönlichen Lebensglück führen wird.
Die abschließende Gesprächsrunde, geprägt von neugierigen Fragen, wie viele autobiografische Anteile die Geschichte enthalte, rundete das Stück ab: Hier stand einer vor den Schülerinnen und Schülern, der es ehrlich mit ihnen meinte.
Zur Vorbereitung auf das Stück stellt Richard Betz einen Fragenkatalog zur Verfügung, mit dessen Hilfe sich die Schülerinnen und Schüler mit ihren persönlichen Wünschen und Vorstellungen auseinandersetzen können.
Die Nachhaltigkeit des Stückes wird gestärkt durch die Aushändigung eines Wanderbuches.
Von staatlicher Seite erfährt das Stück eine finanzielle Förderung durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Diese ist zwar auf eine gewisse Anzahl an Aufführungen begrenzt ist, aber vielleicht hat man ja noch Glück…
Richard Betz “Mit Herz und Hand”: Eine klare Empfehlung für Jugendliche, ihre Eltern, für alle, die ihnen beratend zur Seite stehen – für die Schule!
Weitere Infos: http://www.hansimglück.de/inszenierungen/mit-herz-und-hand/
Katja Lynker, Theodor-Litt-Schule Gießen, AG KidS – Kultur in der Schule
[1] https://wissenschaft.hessen.de/sites/default/files/media/hmwk/studierende_in_hessen_05_10_15_16.pdf
[2] https://www.ihk-hessen.de/themen/berufliche/projekte/studienabbrecher/
[3] https://wirtschaft.hessen.de/sites/default/files/media/hmwvl/strukturdaten-handwerk-hessen-2016.pdf
[4] http://www.fnp.de/rhein-main/Volle-Auftragsbuecher;art801,2660662