HAUSBAU IN ITALIEN
Ziel ist ein kleines, verträumtes Dorf in Ligurien namens Lingueglietta. Dort, im Skulpturenpark „Tra i Mondi“, soll ein Ausstellungs- und Ateliergebäude entstehen. Seit über 15 Jahren arbeitet hier die deutsche Künstlerin Carin Grudda, die sich mit ihren riesigen Bronzeskulpturen und Bildern internationale Bekanntheit und Anerkennung erworben hat.
25. August 2012, Theodor-Litt-Schule in Gießen, 6.00 Uhr morgens, – drei VW-Transporter, 18 angehenden Zimmerleute, drei Lehrern, ein pensionierter Schulleiter samt Frau starten in Richtung Italien. Im Konvoi fährt auch ein Werkstattbus, beladen mit den wichtigsten Werkzeugen, die man zum Bau eines Holzständerhauses so braucht, mit.
Ziel ist ein kleines, verträumtes Dorf in Ligurien namens Lingueglietta. Dort, im Skulpturenpark „Tra i Mondi“, soll ein Ausstellungs- und Ateliergebäude entstehen. Seit über 15 Jahren arbeitet hier die deutsche Künstlerin Carin Grudda, die sich mit ihren riesigen Bronzeskulpturen und Bildern internationale Bekanntheit und Anerkennung erworben hat. Carin Grudda, die auf der diesjährigen Biennale in Venedig im italienischen Pavillon vertreten war, hat in Gießen Kunstgeschichte und Philosophie studiert, was den lokalen Bezug des geplanten Projekts begründete.
Didaktisches Ziel unseres Unterrichtsvorhabens war die europäische Dimension des Lernens in der Berufsausbildung an einem konkreten Projekt zu erfahren. Die zentrale Frage lautete: Was sind die Herausforderungen und Anforderungen an ein deutsches Unternehmen, z.B. eine Zimmerei, dass sich an einer europäischen Ausschreibung beteiligt und nach Zuschlag ein Holzständerhaus in Italien errichten soll?
Die Planungsphase lief noch in den professionellen, gewohnten Bahnen ab. Nach Absprache mit dem Skulpturenpark wurden erste Skizzen entworfen, diese in CAD-Zeichnungen überführt und nach Klärung aller Details in eine CAD-CAM Verfahren für den Abbund vorbereitet. Die Zeichnungen dienten in Italien für den Bauantrag und die vorbereitenden Arbeiten der Bodenplatte. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wurde schnell deutlich, die Holzpreise in Deutschland lassen gegenüber denen in Italien einen Abbund des Hauses in Gießen und den Transport der Hölzer nach Ligurien durchaus sinnvoll erscheinen. Auch der von uns geforderte Qualitätsstandard schien nur auf diesem Wege verlässlich einhaltbar.
Daher fuhr parallel zu unserem Konvoi ein Sattelschlepper der Firma FERCAM Logistics & Transport mit ca. 9,5 Tonnen Material in Richtung Süden. Nach langer Fahrt erreichten wir am Abend Lingueglietta, bezogen fünf sehr schöne Ferienwohnungen, verspeisten die erste Pizza und genossen die erste Nacht in Italien bei angenehmen 25 Grad.
Der Sonntag begann mit einem ausgedehnten Brunch im Skulpturenpark, der Baustellenerkundung, erster Planungsabsprachen und einer Fahrt nach San Lorenzo al Mare an den Strand und zum ersten Bad im Meer.
Just in time, am Montagmorgen meldete sich der Fahrer des Sattelschleppers, er sei noch 20 km vom Bestimmungsort entfernt. Bestimmungsort – wo war dieser? Der Skulpturenpark befindet sich in einem Olivenhain ca. 300 Meter über dem Meer, 5 km entfernt von der kleinen Regionalstraße, nur erreichbar über einen schmalen Feldweg mit engen Serpentinen. Wie sollten da Tonnen von Holz, mit bis zu 8 m Länge, hoch transportiert werden? Der Sattelschlepper wurde im Tal in einer großen Kurve an den Straßenrand dirigiert und dort entladen.
Zwei Geländewagen mit Anhänger hatten die Aufgabe, die Hölzer, sortiert nach dem geplanten Arbeitsablauf, nach oben in den Park zu befördern. Das bedeutete: im Tal eine Mannschaft mit Zeichnungen zum Aufladen, im Park eine Mannschaft zum Abladen und Sortieren und eine Mannschaft, die schon die ersten Wände aufschlug. Eine wirklich kräftezehrende Arbeit, bei 30 Grad im Schatten. Doch das Team machte erst Feierabend als alles von der Straße weg im Park aufgeschichtet und zur weiteren Verarbeitung geordnet war. Zu diesem Zeitpunkt standen schon zwei Wände des Hauses, es war allerdings auch schon 22.30 Uhr.
Am nächsten Morgen, beim gemeinsamen Frühstück, fasste das Team den Entschluss erst das Haus vollständig fertig zu stellen um dann die letzten Tage für Freizeit, Kulturprogramm und „Chillen“ nutzen zu können. Gesagt, getan – und dann langten 18 junge, angehende Zimmerleute zu, arbeiteten bis zu zwölf Stunden am Tag, bewiesen dabei ihre hohe handwerkliche Qualifikation und Leistungsbereitschaft, hatten dabei viel Spaß, frühstückten und aßen Mittag zusammen und gönnten sich eine kurze Siesta mit einem Bad in der Sonne. Am Abend dann immer das gleiche Ritual – das Tagwerk wurde gemeinsam bei einem kühlen Bier betrachte, gewürdigt und weiterbesprochen. So entstand in fünf Tagen das geplante Ausstellungs- und Ateliergebäude, eine unglaubliche Leistung. Doch bis dahin war noch so manche Hürde in Bezug auf die europäische Dimension zu nehmen.
Schon am zweiten Tag stellte sich heraus, dass der zur Verfügung stehende Strom nicht ausreichte, den Kompressor für den pneumatischen Nagler anlaufen zu lassen. Trotz mehrerer Versuche waren die entsprechenden Nägel nicht zu bekommen, sodass nichts anderes übrig blieb, als die Nägel aus den Nagelketten heraus zu lösen und mit Hämmern per Hand zu verarbeiten.
Zu einer wahren Odyssee gestaltete sich die Suche nach Zinkblech. Arma die Taggia, Sanremo – nein in Imperia soll es einen großen Feramente (Eisenhändler) geben. Und tatsächlich er hatte Zinkblech. Sechs große Tafeln in den Hänger, noch einmal die versichernde Frage „reines Zinkblech“ – si, si, und ab ging es zur 10 km entfernten Baustelle. Erste Lötversuche nährten den Zweifel, dass es sich hier nicht um reines Zinkblech handeln könne. Der Test mit dem Winkelschleifer brachte durch prächtigen Funkenflug die Gewissheit – das war verzinktes Stahlblech. Aufladen, zurückbringen, telefonieren und nach einem halben Tag hatten wir dann endlich Zinkblech, wenn auch nicht in der von uns gewünschten Stärke.
Beim nächsten Einkauf sollten Regenrinnen, Einläufe und Regenrinnenhalter (Rinneisen) und Fallrohre besorgt werden. Die Suche nach den entsprechenden Rinneisen blieb jedoch vergebens. In Italien benutzt man ein anderes System zur Befestigung der Regenrinnen, das aber bei dem geplanten Dachaufbau nicht verwendet werden konnte. Wir mussten trotzdem 40 Rinneisen kaufen und diese in einem aufwendigen Verfahren so umgestalten, dass sie unseren Anforderungen entsprachen.
Auch mit dem italienischen Baurecht wurden wir, wenn auch nur am Rande, ein wenig konfrontiert. Sehr aufgeregt, wild gestikulierend erschien eines Morgens der Bauunternehmer, der die Bodenplatte gefertigt hatte und verlangte den sofortigen Baustopp, da er weiterhin für die Baustelle und die dort arbeitenden Menschen gegenüber den Baubehörden verantwortlich sei. Auch die Versicherung, dass es sich hier um ein schulisches Projekt handele, die Verantwortung bei den Lehrern läge, konnte ihn nicht beruhigen. Er nahm das offizielle Baustellenschild ab um es der Baubehörde zu übergeben und verließ die Baustelle. Da er noch den Estrich machen soll, sind wir auf die Fortsetzung gespannt.
Diese Vorkommnisse waren jedoch für uns als Projektgruppe einer Europaschule äußerst lehrreich. Eine Bauausführung im europäischen Ausland muss sorgfältig vorbereitet werden. Eine professionelle Logistik (Material, Technologien, rechtliche Bedingungen) ist für den Erfolg geradezu Voraussetzung.
Am fünften Tag jedoch hatten wir alle Arbeiten abgeschlossen. Neben der europäischen Dimension des Lernens, darin waren sich alle einig, war auch auf fachlichem Gebiet ein enormer Lernzuwachs zu verzeichnen. Nicht jeder hatte bisher in seinem Ausbildungsbetrieb die Gelegenheit Wände zu bauen, Fensterbänke zu kannten und zu löten, Schweißbahnen auf Dächer aufzubringen, Abschlussprofile zu kannten und anzubringen, an der Dachentwässerung mitzuarbeiten und vieles mehr.
Dieser Erfolg ist zu einem großen Teil der hohen Fachlichkeit und dem pädagogischen Geschick der drei beteiligten Kollegen der Theodor-Litt-Schule geschuldet. Die Kollegen Rüdiger Schmid-Pfähler, Gregor Baumeister und Karsten Rühl hatten ständig viele, viele Fragen zu beantworten, technische Details vorzumachen, die Sicherheit der Baustelle zu gewährleisten und die enormen fachlichen Kenntnisse der angehenden Zimmerleute zu koordinieren und richtig einzusetzen.
Nach alter Tradition und Brauch der Zimmermannszunft, wurde natürlich ein ordentliches Richtfest gefeiert. Am Montag, den 3. September, standen alle Zimmerleute in Kluft, der Meister (Karsten Rühl) mit Zimmermannshut an der Baustelle. Hoch auf dem Dach, neben dem improvisierten Richtbaum aus Pinienzweigen zelebrierte Marcel Breitfelder den Richtspruch, trank den Schnaps und zerschmetterte das Glas auf dem Boden. Anschließend wurde vor den geladenen italienischen Gästen der Zimmererklatsch aufgeführt und einige Reden gehalten. Ganz besonders ergriffen war Carin Grudda, die die Arbeit der jungen Leute, ihre Lebenslust, ihre vorbildliches Verhalten würdigte. Mit dem Satz „ ihr habt aus diesem Platz einen Ort gemacht an dem sehr viel Kunst und Begegnung stattfinden wird“, zeugte sie den jungen Fachleuten ihre Ehrerbietung und Anerkennung.
Jeder Auszubildende bekam einen großen Ausstellungskatalog mit einer persönlichen Widmung und ein Glas „Erde“ in Form selbst geernteter und selbst gemachter Feigenmarmelade.
Vier Tage hochverdienter Urlaub lagen nun vor uns und die wurden mit richtigen Highlights ausgefüllt.
Strandtage mit Kubb- und Boul- Spiel
Besuch des Konzerts der Preisträger der diesjährigen Sommerakademie von Cervo unter der Leitung von Arnulf von Arnim im historischen Imperia.
Besuch des Künstlerdorfs – Bussana Vecchia – das 1887 von einem Erdbeben völlig zerstört wurde und seit den 60er Jahren von jungen Künstlern und Kunsthandwerkern besetzt ist, die die Ruinen besiedelten und hier ihre Ateliers errichteten,
Fahrt ins Argentinatal, Bad in den Naturbecken, Wasserfällen und Stromschnellen der Argentina in der Nähe von Triora.
Abendlicher Besuch einer historischen Windjammer-Parade im Hafen von Porto Maurizio
Krönender Abschluss war ein Segeltörn im Mittelmeer mit zwei 43 Fuß großen Yachten
Dann ging es am Freitagmorgen, in aller Frühe wieder nach Hause.
Ich bin davon überzeugt, dass diese Studienfahrt ein unvergessliches Erlebnis für die angehenden Zimmerleute bleiben wird. Aber auch unsere Gastgeber werden noch lange daran denken und den vielen Parkbesuchen davon erzählen, wie 18 junge Zimmerleute in fünf Tagen konzentrierter und hoch engagierter Arbeit dieses schöne Ausstellungs- und Ateliergebäude errichtet haben.
Fachliches und soziales Lernen in einer Gruppe im europäischen Ausland, der Erfolg und die Anerkennung, sowie die beeindruckenden freizeitpädagogischen Erlebnissen haben diese Studienfahrt zu einem vollen Erfolg gemacht.